VPU: Offener Brief an den Bundesgesundheitsminister

Pflege ist systemrelevant – nicht nur in Corona-Zeiten. Gemeinsame Stellungnahme und Petition zum internationalen Jahr der Pflegenden und Hebammen

Sehr geehrter Herr Bundesminister Spahn,

die Corona-Pandemie verdeutlicht eindringlich die Systemrelevanz sowie die Herausforderungen, mit denen die Berufsgruppe der Pflegefachpersonen seit Jahrzehnten konfrontiert ist. Pflegefachpersonen tragen maßgeblich dazu bei, die gesundheitliche Versorgung der Patient/innen mit Covid-19 sicherzustellen und Infektionsketten in allen Settings der Gesundheitsversorgung zu unterbrechen. Dennoch werden sowohl der Umfang ihrer Expertise, als auch die Verantwortung pflegerischen Handelns auf gesellschaftlicher und politischer Ebene weiterhin unterschätzt. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie war und ist in allen Arbeitsbereichen der Pflege zu spüren. Demnach musste sich die Berufsgruppe in kürzester Zeit an neue Strukturen und Maßnahmen anpassen. Zusätzlich sind Pflegefachpersonen mit Aufgaben zum Infektionsschutz und Aufklärung präventiver Maßnahmen konfrontiert. Hinzu kommen die daraus resultierenden sekundären Auswirkungen, wie extreme Verunsicherung und Ängste ihrer Patient/innen und Angehörigen.

All dies führt uns die Notwendigkeit des politischen Handelns hinsichtlich dringend notwendiger Entwicklungsschritte in Personalausstattung, Bildung und Verantwortungsbereichen der Pflege vor Augen. Zwölf Organisationen aus der Pflege (Bundespflegekammer; Dekanekonferenz Pflegewissenschaft e.V., Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe e.V.; Deutsche Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin e.V.; Deutsche Gesellschaft für Pflegewissenschaft e.V.; Deutscher Pflegerat e.V.; European Academy of Nursing Science; Landespflegekammer Rheinland-Pfalz; Pflegekammer Niedersachsen; Pflegeberufekammer Schleswig-Holstein; Verband der Pflegedirektorinnen und Pflegedirektoren der Universitätskliniken Deutschlands, Netzwerk Pflegeforschung an Universitätskliniken im VPU e.V.) haben die daraus abzuleitenden Forderungen zur Sicherung und Weiterentwicklung der Pflege in Deutschland in eine gemeinsame Stellungnahme Pflege ist systemrelevant -nicht nur in Corona-Zeiten und öffentliche Petition überführt:

  1. Sicherung der Daseinsfürsorge durch Stärkung der Berufsgruppe der Pflegefachpersonen. Ziel muss eine Verbesserung der Versorgungsqualität und vor allem der Arbeitsbedingungen für Pflegefachpersonen sein. Hierzu bedarf es einer Personalausstattung, Qualifikation und Entlohnung, die sich an der tatsächlichen Komplexität und Verantwortung des Pflegefachberufes orientieren. Dies setzt ein wissenschaftlich fundiertes und praxistaugliches Personalbemessungsinstrument voraus.

  2. Einbezug der Pflegefachpersonen in die kommunale Gesundheitsversorgung sowie die Substitution umschriebener, bisher Ärzt/innen vorbehaltener Tätigkeiten im Sinne der Heilkundeübertragung bzw. die Etablierung neuer Versorgungskonzepte, wie sie zum Beispiel mit einer Advanced Practice Nurse möglich und international etabliert sind.

  3. Politische Unterstützung zur Einrichtung von Pflegeberufekammern auf Landes- und Bundesebene, wie sie in Deutschland schon seit Jahrzehnten gefordert wird.

  4. Förderung der Pflegewissenschaft und der soliden Evidenzbasis für professionelle Pflege. Die weitere Professionalisierung der Pflegefachberufe benötigt eine leistungsfähige, hochqualifizierte wissenschaftliche Bezugsdisziplin. Künftige Forschungsförderprogramme sollen sich spezifisch auch an die Pflegewissenschaft und den pflegewissenschaftlichen Nachwuchs richten.

  5. Regelhafte Einrichtung pflegewissenschaftlicher Professuren an allen Universitätskliniken/medizinischen Fakultäten und medizinischen Hochschulen sowie eine konsequente Erhöhung des Anteils hochschulisch qualifizierter Pflegefachpersonen. International ist der Pflege und der Hebammenberuf eine hochschulisch zu erwerbende Qualifikation. Deutschland muss hier dringend anschlussfähig werden.

Mit einer Online-Petition wurden die genannten Forderungen an die Öffentlichkeit getragen. Dadurch erhielten insbesondere Pflegefachpersonen und andere Betroffene die Möglichkeit, ihre Meinung öffentlich zu äußern. Die 17.041 Unterzeichnungen zeigen hier ein breites Mandat der Stellungnahme auf. Der Querschnitt aus den nahezu 5.500 Kommentaren zeigt deutlich die hohe Identifikation der Pflegefachpersonen mit ihrem Beruf und gleichzeigt die Enttäuschung und Frustration über mangelhafte Rahmenbedingungen, schlechte Personalausstattungen und die dringend zu fordernden Weiterentwicklungen in Selbstverwaltung und Qualifikation. Trotz vielfacher öffentlicher Äußerungen, Aktivitäten und Studienergebnisse ändert sich in der Wahrnehmung vieler Pflegefachpersonen kaum etwas. Im Gegenteil, das Bild der Pflege als ein Beruf mit geringen Qualifikationsanforderungen, den jede/r ausüben kann, wenn er/sie nur das Herz am rechten Fleck hat, der stets insuffiziente Arbeitsbedingungen bietet und von sehr begrenzten Verantwortungs- und Einflussbereichen gezeichnet ist, bleibt weiterhin bestehen. Ändert sich nichts an diesen grundlegenden Bedingungen, die den Kern des Pflegefachberufs berühren, bleiben alle anderen Maßnahmen wirkungslos.

Sehr geehrter Herr Bundesminister Spahn, bisherige halbherzige und ohne Vehemenz verfolgte Aktivitäten müssen Schwung aufnehmen bzw. von wirksamen und nachhaltigen Aktivitäten abgelöst werden. Eine Sicherung der nötigen Fachkräftequote in der Pflege wird langfristig nur durch konsequent verbesserte Arbeitsbedingungen in allen Einsatzfeldern der Pflege gelingen. Die nötigen Grundlagen dazu liegen auf der Hand: umfassend verbesserte Personalausstattung, valide am tatsächlichen Bedarf orientierte Personalbemessungsinstrumente, umfassende Investitionen in die Qualifikationen einschließlich eines konsequenten Ausbaues hochschulischer Qualifikationen, faire Entlohnungen, veränderte Aufgabenteilungen im Gesundheitswesen einschließlich der Heilkundeübertragung sowie die Förderung von Innovationen und Forschung in der Pflege. Die u.a. von Ihnen einberufene Konzertierte Aktion Pflege zeigt erste konkrete Umsetzungsschritte hinsichtlich der Verbesserung der Arbeitsbedingungen und auch Stärkung der Bildung. Diese Arbeitsgruppen sollten weiterhin konsequent vorangetrieben werden.

Pflegefachpersonen unterstreichen in der Corona-Pandemie die Leistungsfähigkeit, die Verantwortungsbereitschaft und das Potenzial der Berufsgruppe. Mangelsituationen werden in Verantwortung für die ihnen anvertrauten Patient/innen, Bewohner/innen und Klient/innen konsequent und über den Maßen hinaus ausgeglichen. Die Erwartungen an die Politik und an die Entscheidungsträger/innen dies anzuerkennen und in dringend notwendige Entwicklungsschritte zu überführen ist dementsprechend sehr groß. Jetzt bietet sich die historische Chance einen weiteren Vertrauensverlust der Pflegefachpersonen zu vermeiden, indem die elementaren Weichen ernsthaft und nachhaltig gestellt werden, um die Profession Pflege zu stärken und unsere Gesundheitsversorgung und damit das Wohlergehen unserer Gesellschaft zu sichern.

Für Rückfragen und einer Diskussion stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

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